In diesem Blog-Beitrag werde ich beschreiben…
- …wie sich einige meiner „persönlichen Lernziele“ während acht Jahren als Lehrperson verändert haben.
- …welche Fragen kurz vor Abschluss einer Weiterbildung noch offen sind (welche Lernziele ich also noch nicht erreicht habe).
- …wie ich an diesen Lernzielen weiterarbeite.
Rückblick: 8 Jahre als Lehrer
Ich unterrichte seit acht Jahren. Von Anfang an haben mich digitale Medien interessiert. Vor acht Jahren war das iPhone 1 erst wenige Monate erhältlich, inzwischen besitzen fast alle Oberstufenschüler ein Smartphone. Vor acht Jahren habe ich mich bei Facebook angemeldet, inzwischen hat Facebook über 1 Milliarde Nutzer und Jugendliche sind bereits in neue Soziale Netzwerke wie Instagram weitergezogen. Vor acht Jahren schrieb ich noch SMS, heute zeigt WhatsApp exemplarisch, wie hilflos Schulen mit der Digitalisierung umgehen: Wenn Schüler die Lösungen zu den Hausaufgaben via Messenger austauschen ist eigentlich schnell klar, dass die bestehende Hausaufgaben-Praxis nicht mehr funktioniert. „Alle tun das gleiche“ und „one size fits all“ klappt nicht mehr – nicht nur bei den Hausaufgaben.
Die Welt hat sich rasant verändert, die Schule nicht. „Ständige Reformen“ drehen sich um Organisatorisches (Stundentafel, Stoffpläne, Klassengrössen…) und lassen „das Herz“ – den Unterricht, das Lernen – fast unberührt. Strukturen und Denkmuster stammen immer noch aus dem 19. Jahrhundert.
Mit verschiedenen Tätigkeiten (z.B. mein eigener Unterricht, Weiterbildung für Lehrpersonen, Arbeitsgruppen) habe ich versucht, ein Stück Digitalisierung in die Schule zu bringen, mit mässigem Erfolg. Das ist ein Grund, warum ich bei meinen „persönlichen Lernzielen“ den Schwerpunkt verlagert habe: Nicht mehr der konkrete Einsatz von digitalen Medien im Unterricht steht im Zentrum. Stattdessen frage ich mich:
- Wie müsste die Schule im 21. Jahrhundert (mit Megatrends wie Globalisierung und Digitalisierung) aussehen?
- Und wie schafft man es, Schulen zu verändern?
Für beide Fragen gibt es weder kurze Antworten noch Patentrezepte. Doch weil man irgendwo beginnen muss, finde ich dieses Motto passend: „Think big. Start small. But most of all: Start!“ (ich weiss nicht mehr, wer der Urheber ist)
Wandel (Change) ist auch in der Wirtschaft schwierig. Doch in Schulen dürfte das noch schwieriger sein. Zum Beispiel, weil dort Menschen arbeiten, die während über 8’000 Stunden als Schüler gelernt haben, wie Unterricht funktioniert (ich greife oft auf Rezepte zurück, die ich selbst als Schüler erlebt habe). Da ist es nicht überraschend (aber denkwürdig), dass die Ausbildung zur Lehrperson nur einen geringen Einfluss auf die Schülerleistungen hat (vgl. Hattie). Kurz: Als Berufseinsteiger habe ich oft so unterrichtet, wie ich Unterricht als Schüler erlebt habe. Und nicht, wie ich es an der PH gelernt habe. Ich bin wohl nicht der einzige, dem es so ergangen ist. Wie gelingen da Veränderungen?
Einblick: Wie verändert man Schulen?
Ich habe gehofft, im CAS Unterrichts- und Schulentwicklung einige Antworten zu finden. Das war in der ersten Kurshälfte der Fall. Sie war voll mit Einsichten und hat mich auch veranlasst, dieses Blog zu eröffnen (während meinem Studium habe ich oft über das „ständige reflektieren“ gespottet, inzwischen ist mir klar, was das bringt). Doch nach der zweiten Kurshälfte bin ich etwas ratlos. Ich kann das noch nicht auf den Punkt bringen, versuche aber, für mich etwas „Ordnung zu schaffen“. Im Zentrum der Weiterbildung stand im zweiten Teil nicht mehr das Lernen einer einzelnen Person (individuelles Lernen), sondern das Lernen auf der Ebene des Teams und der Organisation. Zu den Inhalten gehörten:
- Qualitätsmanagement, Qualitätssysteme
- Unterrichtsteams als professionelle Lerngemeinschaften
- Organisationsentwicklung
- Change- und Projektmanagement
Darum geht es mir:
- Ich bin überzeugt: Qualitätsmanagement, Unterrichtsteams, Leitbilder und mehr gibt es schon seit Jahren. Damit wird jedoch an vielen Schulen keine Wirkung erzielt.
- Auch wenn Qualitätsmanagment, Unterrichtsteams & Co „gut gemacht“ sind, wird dadurch oft nur die bestehende Unterrichtspraxis in (sehr) kleinen Schritten verbessert. Das was man tut, besser zu tun, reicht jedoch nicht. Wir müssen es anders tun, anders Schule machen. Eine Veränderung in kleinen Schritten und ein bisschen an der Schule „herumdoktern“ reicht nicht. Es braucht einen radikalen Wandel. Einen solchen „grossen Schritt“ macht zum Beispiel die Schule Niederhasli (und löst damit auch Widerstand aus).
- Wie kann das gelingen? Wie kann eine Innovationskultur (schwammiger Begriff…) entstehen? Da beginnt jetzt die Ratlosigkeit. Ein Blick in die Wirtschaft zeigt, dass klassisches Change- und Projektmanagement immer häufiger scheitert (und z.B. neue agile Methoden wie SCRUM eingesetzt werden). Design Thinking könnte ein spannender Ansatz für die Schulentwicklung sein.
Die Punkte oben beschreibe ich in den folgenden Abschnitten genauer.
1. Viel tun aber wenig bewirken
Meine Haltung vor dem Kurs war: Qualitätsmanagement, Unterrichtsteams, Leitbilder und andere Elemente der Schulentwicklung erzielen an den meisten Schulen keine Wirkung. Mit meinen verschiedenen Tätigkeiten erhalte ich Einblick in unterschiedliche Schulen. Häufig sehe ich Leitbilder als Papiertiger, kollegiale Hospitationen als Alibiübungen und wenn wenn nach einer „intensiven Auseinandersetzung mit kooperativem Lernen“ in jedem (!) Schulzimmer die Pulte immer noch wie in einem Kuhstall angeordnet sind, bezweifle ich, dass die kooperativen Lernformen im Unterricht angekommen sind. Wenn eine Schulleitung bei einer Neuerung sagt „wir tun das, weil die Bildungsverwaltung sagt, dass wir das tun müssen“, dann werden wohl auch die Lehrpersonen nicht verstehen, was die Neuerung bringen soll. Mein Eindruck: An Schulen wird viel gemacht, was als „Schulentwicklung“ bezeichnet wird. Es wird viel gemacht, aber wenig bewirkt. Wer in den letzten 20 Jahren nie ein Schulzimmer betreten hat, könnte das heute tun und würde sich sofort wieder zurechtfinden und wissen, wie der Laden funktioniert. Es sei denn, er erwischt eine innovative Schule, von denen es natürlich einige wenige gibt (die Wahrscheinlichkeit, eine solche zu erwischen, ist bei Primarschulen grösser).
2. Anders statt besser
Meine Haltung nach dem Kurs ist: Qualitätssysteme, Unterrichtsteams & Co können helfen, die bestehende Unterrichtspraxis zu verbessern. Das was man tut, besser zu tun und so Schulen in (sehr) kleinen Schritten zu verbessern. Also zum Beispiel statt ab und zu eine Gruppenarbeit zu machen, kooperative Lernformen gezielt einzusetzen (oder allgemein: an der Methodenvielfalt arbeiten).
Das Problem: Wenn niemand mehr Musik auf CD kauft (niemand für Musik bezahlt!), bringt es nichts, schönere CDs zu gestalten und den Service im Laden zu verbessern. Dann brauchen Musiker neue Geschäftsmodelle. Ich gehe davon aus, dass es nicht reicht, Schulen in kleinen Schritten zu entwickeln, ein bisschen „herumzudoktern“ (kürzlich von einem Schulleiter gehört: „Wir haben sieben Jahre Zeit, den Lehrplan 21 einzuführen, also nur nichts überstürzen“). Das, was wir tun, besser zu tun, reicht nicht. Wir müssen es anders tun, anders Schule machen. So wie die Digitalisierung fast jede Branche auf den Kopf stellt, wird sie auch in der Schule keinen Stein auf dem andern lassen. Ich bezweifle, dass die im Kurs kennengelernten Methoden und Instrumente für einen radikalen Wandel ausreichen. Mir fehlt auch ein über Methoden und Instrumente hinaus gehendes Grundverständnis oder eine Grundhaltung . Natürlich sind professionelle Lerngemeinschaften (Unterrichtsteams) im Wandel wichtig, sie sind jedoch nur ein Puzzlestück. Natürlich braucht es Change- und Projektmanagment. Doch ein Blick über den Tellerrand zeigt: (Auch) in der Wirtschaft scheitern viele Change-Projekte. Klassisches Change- und Projektmanagement mit einer Vorabplanung (die „unterwegs“ kaum angepasst wird) und ein bisschen Einbezug der Betroffenen führt oft nicht zum Erfolg. Neue agile Methoden verzichten auf starre Pläne, nutzen selbstorganisierte Teams (was bedeutet das für Unterrichtsteams?) und setzen die Bedürfnisse des Kunden ins Zentrum (= die Lernenden im Zentrum?).
3. Ausblick: Und jetzt?
Die Frage bleibt mir: Wie verändert man Schulen? Wie gelingt ein „grosser Schritt“ statt einer Verbesserung in (sehr) kleinen Schritten? Für mich ist Design Thinking ein vielversprechender Ansatz, den ich genauer anschauen werde. Design Thinking ist ein Prozess und eine Sammlung von Methoden zum Lösen von Problemen und Entwickeln von Innovationen. Aber vor allem: Design Thinking ist auch ein Mindset (Denkweise) und damit mehr als „nur“ eine Methode. Mich überzeugt:
- Der Mensch und seine Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt.
- Design Thinking ist kollaborativ: Die Beteiligten/Betroffenen werden von Anfang an mit einbezogen. Unterschiedliche Perspektiven werden genutzt, heterogene Teams sind eine Chance.
- Design Thinking ist experimentell: Das Motto „fail early and often, learn fast“ ist in den Prozess eingebaut. Statt langem Planen im stillen Kämmerlein werden Ideen und Lösungsansätze sofort getestet und dann verbessert. Aus „so macht man das“ wird „so probier ich das“.
- Design Thinking ist optimistisch: Darin steckt die Überzeugung, dass auch unter schwierigen Umständen Veränderungen möglich sind und dass neue Ideen nicht Geistesblitze von Genies sind.
Mehr zu Design Thinking gibt es hier:
Grant Lichtman hat #EdJourney: A Roadmap to the Future of Education geschrieben (habe ich noch nicht gelesen). Ich folge ihm auf Twitter und habe kürzlich gemerkt, dass er Design Thinking in seiner Arbeit mit Schulen anwendet.