In den letzten Tagen ist mir an verschiedenen Stellen das Thema Scheitern begegnet:
- Bei einem Kurs mit dem Titel Besser scheitern steht in der Beschreibung: „In der zielgerichteten und planvollen Entwicklung von Schulen ist Scheitern wahrscheinlicher als Nicht-Scheitern.“ Ich habe den Eindruck, dass das stimmt. Aber es wird selten darüber gesprochen.
- Ganz anders an einer FuckUp Night: Dort erzählen Unternehmer*innen vor einem Publikum ihre Scheitergeschichten und was sie daraus gelernt haben. Das Konzept stammt aus dem Silicon Valley: „Dort, in Kalifornien, gilt das Scheitern fast schon als Pflicht. Nur wer mindestens ein Start-up-Unternehmen versenkt hat, trägt den wahren Unternehmergeist in sich, heisst es dort.“
- Ein perfektes Bild vom Scheitern als Lehrer liefert der Star Wars-Film Die letzten Jedi: Jedi Meister Luke Skywalker trägt Mitschuld an der Erschaffung von Bösewicht Kylo Ren, der sein Schüler war. Luke wendet sich von der Welt, Familie, Freunden und „der Macht“ ab. Er lebt als gebrochener Mann auf einem fernen Planeten. Erst der Geist eines Lehrers – Meister Yoda – heilt ihn, indem er zeigt, dass Scheitern und Lernen zusammengehören: „Gib weiter, was du gelernt. Stärke. Beherrschung. Aber Schwäche, blinder Eifer, Versagen ebenso. Ja, Versagen, ganz besonders. Der grösste Lehrer Versagen ist.“
Mein Fazit: Auch Schulleiter*innen und Lehrer*innen sollten ihre Scheitergeschichten erzählen. Um Kränkungen zu überwinden, daraus zu lernen, und damit Scheitern kein Tabu bleibt. Eine FuckUp Night (in einem vertrauten Kreis) wäre vielleicht ein geeignetes Format. Und als Einstimmung könnte man Die letzten Jedi schauen;-)
(Vielleicht will jemand in den Kommentaren eine Scheitergeschichte erzählen? Ich weiss, ich sollte den Anfang machen).
Ein passendes Zitat von Niels Bohr: „Ein Experte ist jemand, der in einem sehr begrenzten Bereich bereits alle möglichen Fehler gemacht hat“.
Philippe Wampfler says
Weil ich das für eine wichtige Idee halte, mache ich den Anfang.
Ich habe mich an meiner alten Schule stark mit ihr identifiziert und mich in der Schulentwicklung als Lehrer stark engagiert. Dabei sind einige Projekte umgesetzt worden, andere auch grandios gescheitert. Z.B. habe ich die Einführung einer Regelung begleitet, die Lernende davon abhalten sollte, in kurzen Pausen das Smartphone zu benützen. Es war ihnen verboten, das im Schulzimmer zu tun – in den Fluren oder draussen durften sie. Die Regelung stieß nie auf Akzeptanz, weder bei den Schülerinnen und Schülern noch bei den Lehrpersonen. Ich habe sie eine Weile halb verteidigt, halb kritisiert – mit ein Grund, weshalb das nicht funktioniert hat.
Das ist aber nicht meine Scheiter-Geschichte. Eigentlich wäre es folgerichtig gewesen, dass ich mich auch in der Schulleitung engagiere. In den letzten Jahren wurden da vier Stellen neu besetzt. Ich habe mich auf keine beworben: Einerseits belasteten mich Machtspiele und Rangeleien, an denen ich aber durchaus auch teilnahm. Andererseits hatte ich mehr und mehr interessante Engagements ausserhalb der Schule, die mir wichtiger wurden als die Pflichten eines Schulleitungsmitglieds. Ich wollte zwar entscheiden und Vorschläge umsetzen, aber ich konnte und wollte kein Amt übernehmen Ich brachte Ideen ein, war aber oft zu wenig hartnäckig in der Umsetzung, auch zu wenig präsent.
Als Konsequenz habe ich die Schule gewechselt und bin nun pflichtbewusster, engagierter Lehrer; aber ich identifiziere mich nicht extrem stark mit der Schule und denke auch wenig über ihre Entwicklung nach. Vielleicht ändert sich das bald einmal, wer weiß. Im Bestreben, eine Schule zu verändern, zu tragen und zu prägen – da fühle ich mich aber im Moment gescheitert.
pirmin.stadler says
Nach drei Jahren als Lehrer bin ich wegen einer Konfliktsituation aus der Schule ausgestiegen. Damals wollte ich nicht mehr (nie mehr) Lehrer sein. Ich habe dann zwar im ICT-Bereich neue Tätigkeiten gefunden, bin aber auch nach einem Jahr mit einem Teilzeitpensum in die Schule zurück. Für mehrere Jahre war Lehrer meine Nebentätigkeit. Jetzt habe ich wieder fast ein Vollpensum. Einige (Lehr)personen aus meinem Umfeld haben das wiederum als Scheitern interpretiert („Du hast es also nicht geschafft, von der Schule weg zu kommen“, „Dieses ICT-Zeug ist also doch nichts gewesen“). Ich sehe das natürlich anders.
Beat Döbeli Honegger says
Wir fanden vor längerem, das Thema Scheitern und Fehler machen wäre noch spannend für ein Weblog von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern. Voll motiviert habe ich damals die Domain http://www.fehlr.ch reserviert.
Beat Rüedi says
Ich weiss gar nicht, wie oft ich gescheitert bin. Weil ich aber eine Steh-auf-Männchen und nicht nachtragend bin, hat mir dieses Scheitern jeweils nur für kurze Zeit Bauchweh gemacht. Meine grösste Scheiter-Geschichte beginnt nach 25 Jahren Unterricht an einer Kantonsschule und dem verlockenden Angebot eines ehemaligen Schulkollegen und nachmaligen Schulleiter einer Sekundarschule (7.-9. Schuljahr), eine Stelle als Schulmusiker und gleichzeitig sowas wie „Lernen mit dem Computer“ zu übernehmen. Nach 4 Jahren gab ich den Geist auf. Ich kapitulierte und hinterliess einzig ein paar nun mit einem Beamer ausgerüstete Schulzimmer.
Meine letzten 6 Jahre war ich an einer Schule, die zwar auch nichts wissen wollte vom „Lernen wo und wann und mit wem immer“, die mich aber weitestgehend wenn auch nicht unterstützte, so doch zumindest gewähren liess.
Und dann war da noch dieses hoffnungsvolle Projekt einer Stabstelle einer Bildungsdirektion, die (für mich vermeintlich) eine Lehr- und Lernplattform entwickeln wollte. Nach einem Jahr voller Engagement verabschiedete ich mich aus dieser Informationsplattform. Seither bin ich aus diesem Dunstkreis eine Art Looser.
Heute streite ich mich als Rentner für das „Lernen unterwegs“ und gegen den Computer im Unterricht.
Theo Byland says
Bin ich gescheitert, wenn ich gut 35 Jahre lang an meiner Schule ein methodisch/didaktischer Exot geblieben bin, meine SuS zwar immer plusminus „mitgekommen“ sind, seltenst aber die eine Kollegin oder der andere Kollege?
Bin ich gescheitert, wenn ich mich als Klassenlehrer über Monate für Eva, eine „schwierige“ Schülerin einsetze, im Kollegium und bei ihren Eltern, sie sich jedoch nach einem Jahr dennoch umbringt?
Das frage ich mich grad.
Britta Holden says
Das muss wirklich furchtbar sein, lieber Theo.
Aber vielleicht überschätzen wir uns auch, wenn wir meinen einen solchen traurigen Entschluss einer jungen Frau abwenden zu können.
Ist das Scheitern? Du hast offenbar ihr Vertrauen gewonnen und sie bis zum Schluss nicht im Stich gelassen. Der Entschluss war am Ende ihr eigener.
Timo says
Ja, über das Scheitern zu reden – anstatt immerfort über das nächste Best-practice-Beispiel. Das wäre was.
Worüber würde ich reden?
Persönlich: vor drei Schulleiter-Wahlausschüssen deutlich abgelehnt worden. Zu jung, zu unerfahren, zu unpassend, zu schulfern, zu schulleitungsfern,… – Aufzugeben war kurz auch eine Option. Denn viele aus dem Umfeld zweifelten deutlich hörbar. Und doch es ein viertes Mal wagen. Im Scheitern gab es viel zu lernen.
aber noch bin ich nicht so weit, dass ich darüber bloggen könnte.
Beruflich: Schulprojekte, die im Sand verlaufen. Da wird gern „gescheitert“. 😉
Jonny Rabe says
Ich habe das Gefühl ich scheitere im Moment immer bei der Einführung von „tollen“ Apps im Unterricht. In der Werbung immer lachende Schüler, ich voll begeistert und meine Schüler, Ablehnung. Kein lachendes Gesicht.
Britta Holden says
Vielleicht verstehe ich den Begriff des Scheiterns etwas radikaler. Die obigen Beispiele erzählen von Frustrationen oder Nicht-ganz-gelingen oder nicht schnell genug Anerkennung finden – alles ärgerlich. Aber doch vor allem auf Arbeitswelt bezogen. Da kann man was Neues probieren, oder aufatmen, dass man sich etwas nun doch nicht aufgeladen hat, oder neue Prioritäten setzen, den Job wechseln. Es kommt wohl auf die persönlichen Ziele und den Ehrgeiz an, den man reinsteckt, ob das als Scheitern empfunden wird.
Scheitern? Das ist sind für mich Zerwürfnisse auf persönlicher und familiärer Ebene, die sich nicht wiederzumachen lassen, abgebrochene Kommunikation mit einem Sohn, einer Tochter, eine zerbrochene Ehe, …
Gescheiterte Verhandlungen, wo beide Seiten in Feindseligkeit verharren. Scheitern ist, wenn’s nicht mehr weitergeht. Sonst sind es halt Rückschläge und Irrtümer, die sich beim nächsten Mal vermeiden lassen.