Der Lehrberuf als «berufliche Sackgasse»? Wie können Lehrpersonen ihre Entwicklung aktiv steuern und Verantwortung für die Entwicklung der eigenen Laufbahn übernehmen? Einige Antworten darauf habe ich für meine Tätigkeit als Schulleiter zusammengefasst.
Grundverständnis zur Entwicklung von Lehrerinnen und Lehrern:
- Entwicklung ist zu jedem Zeitpunkt des Berufslebens möglich und notwendig.
- Die Schule ist eine lernende Organisation, in der sich alle Beteiligten um Verbesserungen und die Weiterentwicklung bemühen.
- Lehrende sind Lernende und Vorbilder fürs Lernen. Neugierde und Freude am Lernen fangen bei der Lehrperson (und der Schulleitung) an.
- Lehrerinnen und Lehrer erarbeiten sich ein individuelles Profil, in dem gewisse Kompetenzen vertieft ausgebildet sind.
- Schulentwicklung muss sich auf den Unterricht auswirken. Sie hat zum Ziel, das Lernen der Schülerinnen und Schüler zu fördern.
- Die Schulleitung behält die Interessen der Schule im Blick. Sie hat zum Ziel, die Bedürfnisse der Lehrerinnen und Lehrer nach Entfaltung der eigenen Potenziale mit den langfristigen Zielen der Schule in Einklang zu bringen.
Im Einklang? Schulentwicklung und persönliche Entwicklung
- Die Entwicklung von Lehrpersonen kann aus der Perspektive der Schule oder der Person betrachtet werden. Zwei Fragen führen zu Zielen: Wohin geht die Schule? Wohin gehe ich?
- Der «Rahmen» wird bei der Schulentwicklung von kantonalen Qualitätsstandards, Leitbild, Schulprogramm und Jahresplan vorgegeben.
- Die Überlappung von «Schulentwicklung» und «persönliche Entwicklung» stellt den Einklang der Bedürfnisse der Person mit den langfristigen Zielen der Schule dar.
- Gibt es keine Überlappung von «Schulentwicklung» und «persönliche Entwicklung», lohnt es sich, nach einem anderen Arbeitsplatz zu suchen.
Protean Career – individueller Erfolg statt «Karriereleiter»
Die Protean Career ist ein Laufbahnmodell für Lehrpersonen. Es ist nach dem griechischen Meeresgott Proteus benannt, der seine Form nach Belieben verändern und sich so immer wieder neuen Situationen anpassen konnte. Die Verantwortung für die eigene Laufbahn und die Beurteilung des eigenen Erfolgs liegen dabei beim Individuum: Die Person versteht sich selbst als treibende Kraft für die Entwicklung der eigenen Laufbahn und überträgt die Verantwortung dafür nicht dem Arbeitgeber. So sind viele verschiedene Wege zur beruflichen Zufriedenheit und zum Erfolg möglich. Die Protean Career steht für ein selbstverantwortliches Laufbahnmanagement. Sie unterscheidet sich klar von klassischen Karrierevorstellungen wie «die Karriereleiter hochklettern» oder «die Stufen zum Erfolg erklimmen». Das ist gerade in der Schule wichtig, da dort klassische Karrieremöglichkeiten nicht vorhanden sind.
Eine Protean Career entwickelt sich in wiederkehrenden Lernzyklen. Die Abbildung zeigt die vier Phasen eines einzelnen Lernzyklus:
- Entdecken (Exploration): Das Individuum lernt eine neue Aufgabe kennen.
- Ausprobieren (Trial): Neu gewonnenes Wissen wird konkret eingesetzt.
- Etablierung (Establishment): Die Person ist mit den neu erlernten Abläufen und Inhalten vertraut und kann diese im Alltag mühelos anwenden.
- Expertentum (Mastery): Es wurde so viel Erfahrung gesammelt, dass auch komplexe Situationen bewältigt werden können.
Der Wechsel von einem Lernzyklus zum nächsten kann durch äussere oder innere Einflüsse angestossen werden und ist mit einer zumindest kurzfristigen Leistungseinbusse verbunden. Wenn man davon ausgeht, dass Menschen aus früheren beruflichen Erfahrungen lernen und so zunehmend bessere Leistungen erbringen, beginnt jeder Lernzyklus auf einem höheren Leistungsniveau als der vorhergehende.
Unterstützung
Verschiedene Hilfsmittel unterstützen die Lehrperson beim individuellen Lernen und der Laufbahnentwicklung.
Journal
Im Journal wird das eigene Lernen dokumentiert. Es wird in freier Form gestaltet, auf Papier oder digital. Es enthält Zusammen-fassungen, Erkenntnisse, Skizzen, Fragen, Reflexionen und andere «Lernspuren». Journaleinträge werden z.B. vor, während oder nach Schulentwicklungsveranstaltungen, Team-Sitzungen, Weiterbildungskursen oder anderen «Lerngelegenheiten» gemacht. Das Journal kann später zu einem Portfolio weiterentwickelt werden.
Entwicklungslandkarte
Die Entwicklungslandkarte (www.teacher-map.ch) verschafft Orientierung. Welche Perspektiven bietet der Lehrberuf? Welche Entwicklungs- und Spezialisierungsmöglichkeiten haben Lehrpersonen? Wie können sich Lehrerinnen und Lehrer gezielt weiterentwickeln?
Standort- und Perspektivengespräche
Bei Standort- und Perspektivengespräche mit der Schulleitung stehen drei Fragen im Zentrum:
- Woher komme ich?
- Wo stehe ich? (Standortbestimmung)
- Wohin gehe ich? (Perspektivenentwicklung, Ziele)
Ausblick: working out loud (WOL)
Working out loud ist eine umfassende Methode, mit der man sich ein Netzwerk von wertvollen Beziehungen aufbaut um ein selbstbestimmtes Ziel zu erreichen.
Dabei geht es um Wege, die eigene Arbeit zu teilen, Feedback zu erhalten und sich mit anderen auszutauschen, die die gleichen Interessen teilen. Häufig kommt dabei Social Media zum Einsatz. Wichtig ist dabei eine Haltung der Grosszügigkeit. Working out loud besteht aus fünf Elementen:
- Gezielte Entdeckungen machen
- Beziehungen aufbauen
- Führen durch Grosszügigkeit
- Sich und die eigene Arbeit sichtbar machen
- Growth Mindset (eine passende deutsche
Übersetzung fehlt mir)
Quellen:
Barmettler, Claire, Martin Gubler, und Gregor Ziltener. 2015. Individualisiertes Personalmanagement. Wie sich Laufbahnmodelle in der Praxis bewähren. Zürich: Versus.
Hall, Douglas Tim. 1996. «Protean careers of the 21st century.» Academy of Management Executive, November: 8-16.
Herzog, Silvio, und Bruno Leutwyler. 2011. «Entwicklungsperspektiven für Lehrpersonen. Empirische Befunde und praktische Anregungen für die Personal- und Organisationsentwicklung in Schulen.» In Handbuch Schulleitung und Schulentwicklung, von Herbert Buchen, Leonhard Horster und Hans-Günter Rolff, C2.23: 1-16. Stuttgart: Raabe.
Stepper, John. 2015. Working Out Loud: For a Better Career and Life. New York: Ikigai Press.
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