Im Blog-Post Innovative Schulen: Was steht drauf? Was steckt drin? habe ich eine Randbemerkung gemacht:
„Was meistens keine Rolle spielt: digitale Medien, ICT. Das zeigt zum Beispiel ein Blick auf die Schulen bei ProfilQ, IQESonline oder Schweizer Schulpreis.“
Ich habe den Eindruck, dass „innovative Schulen“ in der Schweiz meistens nicht mit ICT und Medien zu tun haben. Während im englischsprachigen Raum Bildungsinnovation und Technologie zusammengehören. Zwar gibt es auch in der Schweiz Schulen, für die ICT und Medien ein Entwicklungsschwerpunkt ist, doch sie sind nur in der ICT-Community bekannt.
Als ich mich für den CAS Unterrichts- und Schulentwicklung anmeldete, war ich überzeugt: Wenn wir uns mit der Weiterentwicklung von Schule und Unterricht beschäftigen, dann ist auch die Digitalisierung ein Thema. Doch ein Blick ins Studienprogramm zeigte schnell: Kein Thema. Überrascht hat mich das nicht. Was mich aber überrascht hat: Jetzt ist Halbzeit und ich habe bei mir selbst gemerkt, dass ich durch die Brille der Bildungswissenschaften schaue. Mit dieser Brille befindet sich die Digitalisierung tatsächlich nicht im Blickfeld.
Bei Diskussionen um die Zukunft von Schulen lassen sich Teilnehmer grob in zwei Gruppen einteilen (das ist natürlich stark vereinfacht):
- Fokus Lernen
- Fokus Technik
Fokus Lernen
Motto: Das Lernen steht im Zentrum! Computer und Internet? Ja, ja, das braucht es schon auch. Ein bisschen. Aber das Lernen findet im Kopf statt, und nicht im Computer!
Vorwurf an Fokus Technik: Die rennen jedem Trend hinterher und rufen mit jedem neuen Tool eine Bildungsrevolution aus! Seit über 20 Jahren sehen wir, dass Technologie das Lernen nicht revolutioniert.
Was weiss die Wissenschaft über Unterricht und Lernen? Lerntheorien (Konstruktivismus), Neuropsychologie und Unterrichtsforschung (z.B. Hattie-Studie) sind im Zentrum. In der Umsetzung geht es dann oft um altersdurchmischtes Lernen, Lernlandschaften und Lernateliers. Dahinter stecken Konzepte zu Personalisierung, Differenzierung und Selbststeuerung des Lernens.
Zu Fokus Lernen gehören auch die pädagogischen Hochschulen. Sie haben zwar Abteilungen für ICT und Medien, diese spielen jedoch eine Nebenrolle. Zur Ausbildung von Lehrpersonen gehören einige wenige Module in Medienbildung. Ob digitale Medien in jedem Fachbereich eine Rolle spielen müssten, ist kein Thema. Die PH Luzern hat 4 Entwicklungsschwerpunkte bis 2017: Kompetenzorientierter Unterricht, Fachdidaktische Lehre und Forschung im Lernbereich Natur – Mensch – Gesellschaft, Heterogenität und Integration in der Schule, Erwachsenenbildung und Berufswelt. Was nicht vorkommt: Bildung im Kontext der Digitalisierung.
Fokus Technik
Motto: All die neuen Tools sind spannend, setzen wir sie in der Schule ein. Computer und Internet revolutionieren die Bildung! Alle haben ein Smartphone und alles Wissen ist im Internet, man muss es nur abrufen.
Vorwurf an Fokus Lernen: Die Ewiggestrigen merken nicht, dass die digitale Revolution die Welt komplett verändert! Nur die Schule bleibt auf die industrielle Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ausgerichtet.
Wie können Schule und Unterricht in einer durch und durch digitalisierten Welt gestaltet werden? Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs: Die Digitalisierung hat ähnlich grosse Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens, wie im 19. Jahrhundert die Industrialisierung. Aus Sicht der Medien findet ein Leitmedienwechsel von der Buchkultur zur Digitalkultur statt.
Laptop-Klassen gibt es seit über 10 Jahren, Schulen erproben 1to1-Computing, Bring Your Own Device und interaktive Wandtafeln. Doch Technologie-Initiativen scheitern oft oder liefern ernüchternde Ergebnisse. Technologie steht im Zentrum, der Unterricht wird kaum weiterentwickelt. Mit Vertretern der Gruppe Technik (es sind fast nie Vertreterinnen) kann man gut über technische Details diskutieren, schlecht über pädagogische Fragen. Aus den vielen Erfahrungen wird scheinbar wenig gelernt. Denn immer noch gibt es neue Projekte nach dem Motto „gebt allen einen Laptop/Tablet/Smartphone! Und dann schauen wir, wie sich das Lernen verändert“. Das Lernen verändert sich dann gar nicht. Dass es ein technisches Konzept braucht, erkennen Schulen. Doch was tun wir mit den Geräten im Unterricht? Ein pädagogisches Konzept fehlt meistens. Da würden personalisiertes und selbstgesteuertes Lernen halt doch wieder eine Rolle spielen. Doch mit der Gruppe Fokus Lernen spricht man selten, stattdessen wird „preaching to the converted“ betrieben. Diskussionen finden in den Sozialen Medien statt und nicht in akademischen Publikationen.
Und jetzt?
Selbstverständlich muss Schulentwicklung zum Ziel haben, dass Kinder und Jugendliche besser lernen. Selbstverständlich gehören digitale Medien zum Lernen dazu. Lernen findet immer in einer Umgebung, in einem Kontext, in einer konkreten Situation statt. Und heute ist das halt eine digitalisierte Welt. Für mich heisst das: Ich muss durch beide Brillengläser schauen. Was trivial klingt, ist in der Praxis dann doch nicht so einfach. Auf die Frage Und jetzt? werde ich hoffentlich noch ausführlichere Antworten geben können.