Heute im SRF Digital Podcast gehört: Am 9. Januar 2007 – also vor 10 Jahren – wurde das erste iPhone vorgestellt. Vor 10 Jahren habe ich als Student weder iPhone noch Handys in einer Arbeit über Neue Medien erwähnt. Einige Zitate aus Hartmut von Hentigs Buch Der technischen Zivilisation gewachsen bleiben. Nachdenken über die Neuen Medien (erschienen 2002!) habe ich wieder entdeckt: „Wir brauchen für eine Welt, in der es Computer gibt, vor allem etwas, was wir an den Computern gerade nicht lernen können – das offene, dialogische, zweifelnde, entwerfende, bewertende, philosophische Denken.“ Und: „Meine Pädagogik soll den jungen Menschen den Verhältnissen gegenüber frei machen – frei auch, sie zu ändern, so gut das geht und in voller Kenntnis ihrer Vorzüge, Nachteile, Nebenerscheinungen und Geschichte.“ Da kann man nur zustimmen. Die aktuellen Diskussionen um Fake-News zeigen, dass seine Forderungen aktueller denn je sind.
Was würde von Hentig heute sagen?
Sind wir der technischen Zivilisation gewachsen? Sind wir den Verhältnissen gegenüber frei? Frei, sie zu ändern? Ich tendiere zu Nein. Und wahrscheinlich möchte er wissen: Welchen Beitrag leistet die Schule? So sieht’s aus: Ab und zu etwas am Computer machen, vielleicht sogar eine Lektion Medien und Informatik, das geht in Ordnung, aber den Rest bitte in Ruhe lassen. Und vor allem: Das Handy bleibt draussen. 10 Jahre iPhone heisst auch rund 10 Jahre Handyverbote. Ein leidiges Thema, deshalb beschränke ich mich auf drei Links, auf die ich bei Diskussionen zurückgreife:
- Social Messenger sind der Untergang
- Kinder, bringt eure Handys (auffallend: fast alle Kommentare widersprechen dem Autor)
- BYOD ist verantwortungsvoll
Aber: „Der technischen Zivilisation gewachsen bleiben“ meint viel mehr als „man muss halt den Computer im Unterricht einsetzen“. Handyverbote zeigen zwar exemplarisch, wie die Schule mit der Digitalisierung umgeht, doch es geht um mehr. Die Digitalisierung stellt in der Schule Vieles auf den Kopf (oder auf die Füsse?) und in Frage. Ein konkretes Beispiel: Zuhause ist das Smartphone dann halt doch dabei. Wenn die Lernenden über WhatsApp Hausaufgaben abschreiben, gibt es zwei konsequente Reaktionen: a) Hausaufgaben abschaffen oder b) jedem Kind eine andere Hausaufgabe geben. Für a) sprechen viele Gründe, aber Hausaufgaben haben halt schon immer zu Schule gehört. Die zweite Reaktion stellt das Prinzip alle lernen das Gleiche in Frage und bleibt nicht bei den Hausaufgaben stehen. So landet man dann vielleicht bei personalisiertem Lernen und fragt sich: Wer bestimmt, was, wann, wie, wo mit wem gelernt wird? Bestimmen das Lehrplan, Stundenplan und Lehrperson? Oder was davon bestimmen die Lernenden selbst? Wenn jedes Kind einen (grossen) Teil seines Lernplans selbst bestimmt, kann es sich auch selbst eine persönlich relevante Hausaufgabe geben. Von Hausaufgaben abschreiben auf WhatsApp ist man zu personalisiertem Lernen gelangt. Das ist ein grosser Brocken. Also reagiert man vielleicht mit „dann schreiben sie halt ab, an der Prüfung müssen sie es dann trotzdem können“ und die Sache ist erledigt. Wie Nando Stöcklin in einem Vortrag sagte: Schule und Internet passen nicht zusammen. Er listet sieben Argumente auf: z.B. „Das Internet löst Grenzen auf, die Schule markiert Grenzen [Anmerkung PiStadler: Fächer, Lehrpläne, 45-min-Lektionen…]. Mit Computer und Internet steigt das Informationsvolumen rasant, die Schule ist auf fixierten Lernstoff ausgerichtet. Das Internet stellt das Weltwissen jederzeit zur Verfügung, die Schule ist auf Wissensvermittlung ausgerichtet“. Er kommt zum Schluss: „Insgesamt dürften deshalb Elemente des Schulsystems wie Prüfungen, Unterrichtslektionen, Lehrpläne, Zertifikate, feste Klasse und Fächer mit Computer und Internet in Konflikt und immer stärker unter Druck geraten.“
Christian Füller ist da noch deutlicher: „Digitalisierung zerstört die Schule (wie wir sie kennen) […] Lernen 2.0 ist eben nicht alte Schule mit Internetanschluss un ein paar Tablets drin. Lernen 2.0 ist etwas ganz anderes.“
Auf Beat Döbeli Honeggers Skala der möglichen Reaktionen der Schule wäre man bei 4. revolutionieren angelangt:
Eine Revolution ist nicht in Sicht. Vor 31 Jahren hat Heinz Moser das Buch Der Computer vor der Schultür geschrieben. Vor einigen Tagen hat er festgestellt: „Und da steht er in manchen Schulen heute noch.“ Mit dem Lehrplan 21 finde jedoch eine kleine Revolution statt [das wäre dann Reaktion 3 auf der Abbildung oben]: Medien und Informatik werde offizieller Teil des Volksschulunterrichts. Anscheinend hat er sich damit abgefunden, dass Veränderungen in Schulen etwas länger brauchen: „So bedarf es mindestens weiterer 10 – 15 Jahre, bis ein solches Fach flächendeckend in den schweizerischen Schulen greift.“ Das musste ich zweimal lesen. Haben tatsächlich noch 10 Jahre Zeit?
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